Vera Röhm
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Étaiements (Stützwerke)

Ausstellung vom 13. November 2011 bis 8. Januar 2012
Topographie de l'art, 15, rue de Thorigny - 75003 Paris

 

Das dem Konstruktivismus und der Konzeptkunst verpflichtete Werk von Vera Röhm umfasst Skulptur, Zeichnung, Fotografie und Installation. Die Fotoserie Stützwerke/Étaiements ist Teil eines fotografischen Zyklus, an dem die Künstlerin bereits seit 1977 arbeitet, inspiriert von der Renovierung alter Gebäude im Pariser Marais-Viertel. Das Chaos der Stützwerke, das auf den ersten Blick labyrinthisch anmutet, entspricht einer inneren Logik.
Das Auge der Künstlerin erkennt versteckte Strukturen, die sie mithilfe verschiedener Ausschnitte freilegt. Vera Röhm hebt direkt auf der Oberfläche des Fotos kleine Zonen hervor: sie wühlt auf, reißt um, deckt ab. Es sind durchforschende Handlungen, die Momente der Morphogenese in Erfahrung bringen wollen.

Erdschatten

Zu den „Stützwerken“ von Vera Röhm

„...und alle Menschen, alle Objekte, die Sonne und der Mond - sind nichts anderes als eine Projektion meines Geistes...“
Vittorio Santoro, L’ombra e il sogno


„Zweck der Architektur ist es, uns zu rühren. Ein architektonisches Gefühl besteht dann, wenn das Werk in uns dieselbe Melodie anschlägt wie das Universum, dessen Gesetzen wir gehorchen, die wir anerkennen und respektieren.“
Le Corbusier, Vers une architecture

Am Anfang war das Faszinosum der Baustellen: Es wuchs aus der Begeisterung für das scheinbar Chaotische, aber dennoch einem verborgenen System Gehorchende und es wuchs aus dem poetischen Konglomerat der Materialien, ihrer vielfältigen Strukturen und ihren Farben.
In den siebziger Jahren entstanden die ersten Aufnahmen dieser Gerüstbauten; Vera Röhm entdeckte das Marais-Viertel im historischen Kern von Paris, dessen Sanierung gerade damals begann. Zu jener Zeit waren sämtliche Fassaden hinter einem Geflecht monströser Holzgerüste verschwunden. Nur an einigen Stellen lugte noch die Ecke eines geschlossenen Fensterladens, einer geborstenen Laibung oder ein Stück bröckelnden Putzes hinter dem grob gezimmerten Dickicht der Holzverschläge hervor. Aber das auf den ersten Blick labyrinthisch erscheinende Chaos dieser „Stützwerke“ hatte System: Die Gesetze der Statik bestimmten die Anordnung der Holzbalken, der grob gehobelten Lattenkreuze und der Zwischenverstrebungen.
Damals wurde die Kamera für Vera Röhm zum Skizzenbuch.
War es die Lust an Spurensicherung, an einer Art archäologischer Bestandsaufnahme? Gab die Begeisterung für das formgenerative Experiment den Ausschlag? Oder war es das Phänomen des Dokumentarischen, das in sich immer das Moment der Selbstvergewisserung in Zeit und Raum beinhaltet? „Raum und Rhythmus interessierte mich“, sagt Vera Röhm heute lapidar, „ich bin von einem konstruktiven „objet trouvé“ ausgegangen.“
Einzelne Ausschnitte ihrer Aufnahmen wurden vergrößert und auf Fotoleinwände gebannt. Durch diese Konzentration verwandelten sich die luftigen Gebilde dieser „Stützwerke“ zu archaischen Monumenten in Schwarz und Weiß.
Die Maserung des Holzes und die eingeschlagenen Metallnägel erscheinen nun in überdimensional haptischer Qualität, der man in sensibler Berührung nachspüren möchte. Formal wird man bei den Stützwerken zunächst an die bizarr gebauten Gehäusefragmente Tadashi Kawamatas erinnert oder auch an die dekonstruktivistische Architektur von Coop Himmelblau; jedoch verwandelt sich das scheinbar konkrete Objekt in der Fotografie zu einem seltsam von Ort und Zeit losgelösten Bildzeichen.

Alle diese Arbeiten aus den siebziger Jahren lagen lange Zeit auf Eis, denn zunächst setzte Vera Röhm mit den Ergänzungen ihr bildhauerisches Oeuvre fort. Erst 1990 – in diesem Jahr wurden die frühen Fotoleinwände erstmals von Karin Fesel in Düsseldorf und von Karin Friebe in Mannheim ausgestellt – nimmt sie den Zyklus der Stützwerke erneut auf.
In Folge entstehen Arbeiten, bei denen Vera Röhm die noch in der Fotografie deutlich werdenden statischen Regeln durch gezielte Interventionen in die Bildstruktur außer Kraft setzt. Innerhalb des rhythmischen Raumgefüges lotet sie geometrische Zonen aus, die sie farbig markiert. Weiß umrandete Quadrate, ein flächig ausgefülltes schwarzes Dreieck, ein über das gesamte Bildfeld reichende heller Lichtbalken, ein horizontal aufgespanntes Kreuz – das sind die bildkonstituierenden Elementarformen, mit denen sie eine seltsame Ambivalenz aus Reiz und Ruhe in Goethescher Manier erzielt.

Die nahezu homogen in Acryl oder Öl aufgebrachten Farbflächen in dominantem Rot, provokantem Neongelb oder wildem Blau gleichen den spannungsgeladenen Energiefeldern der Konkreten Kunst, die den Betrachter in der subjektiven Wahrnehmung am Kontruktionsprozeß beteiligt. Die geometrische Form kann den Blick zum einen bremsen und in dieser Zurückweisung das Bildgeschehen hermetisch verriegeln. In diesem Fall werden die Stützwerke zu einem chiffrierten Zeichensystem aus Hell und Dunkel. Andererseits wird das Auge von der geometrischen Farbfläche in die unterschiedlich strukturierten Tiefenregionen des Tableaux gelenkt, in denen sich nun immer neue kleine „Bildkammern“ öffnen. Diese Kammern gleichen hier den Piranesischen Carceri – Orten des Übergangs, geformt aus flüchtigen Schatten im wandernden Licht. Mitunter erscheinen die geometrischen Farbfiguren auch wie Fensterflächen, die den Blick magisch in die Tiefe dieses labyrinthischen Geflechts ziehen. Dieses transitorische Moment der Brechung ist in Vera Röhms spannungsgeladenen und dennoch meditativen Arbeiten allgegenwärtig. Gleichzeitig offenbart die serielle Bearbeitung der Stützwerke semantische Polyvalenz.
Was bisweilen wie minutiöse Forschungsarbeit anmutet - dieses Ausloten der Zwischenwelten von Realität und Fiktion, dieses Empfindungsspiel mit Licht, Schatten und Schattierung, das Ergänzen, Verdichten eines gegebenen Systems – ist nichts anderes als ein klares „Denken und Empfinden in Form und Farbe“ (Matthias Bleyl). Geschaffen für die emotionalen Wahrnehmungsmomente, in denen „die plastische Komposition symphonisch ist....“ (Le Corbusier).

Karin Leydecker 1994/2008

Links (französisch)

PDF Einladung
PDF Auszüge aus art actuel Nr. 77

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